Die Moral von der Magnetspule - Spannend: Durch Stimulation via TMS wurde in einem Versuch am MIT (u.a. M. Hauser) das Moralempfinden beeinflusst. Genauer: Die Bedeutung der Intention des Handelnden für die moralische Beurteilung der Handlung wurde verändert. Man stelle sich einen Fall vor, den Juristen als untauglichen Versuch bezeichnen: A schüttet B ein weißes Pulver in den Kaffee, von dem A glaubt, dass es giftig sei. Tatsächlich ist das Pulver harmlos und B bleibt unversehrt.
Das Strafrecht würde -trotz des glücklichen Ausgangs- an A den Vorwurf richten, die Vergiftung des B versucht zu haben. So wohl auch das gängige moralische Urteil (die Strafwürdigkeit des untauglichen Versuches ist unter Juristen übrigens nicht unumstritten). Während Probanden dem durch TMS erzeugten Magnetfeld ausgesetzt waren, änderte sich ihre Beurteilung dieser Fälle. Die böse Absicht, der Vorsatz auf die Verletzung des B, schien nur noch von untergeordneter Bedeutung zu sein – die Handlung wurde eher als zulässig bewertet.
Aus anderen Experimenten ist bekannt, dass die in diesem Experiment beeinflusste Hirnregion (die right temporoparietal junction – RTPJ) eine Rolle beim Zuschreiben und Verstehen von Intentionen anderer Menschen spielt (Theory of Mind). Schon in früheren Experimenten war es gelungen, per TMS das Empfinden von Fairness zu manipulieren. Auch die Autoren zeigen sich verwundert, wie leicht moralische Urteile zu beeinflussen sind:
You think of morality as being a really high-level behavior … To be able to apply (a magnetic field) to a specific brain region and change people’s moral judgments is really astonishing.
Was könnte das bedeuten? Ist die Überzeugungskraft konsequentialistischer Ethik (die auf Hdlgs-Folgen, nicht so sehr Intentionen des Handelnden abstellt) eine Frage der magnetischen Anziehungskraft, bzw der Stromstärke im RTPJ ? Und vielleicht noch wichtiger: Ist eine Entscheidung, die unter derartigem TMS Einfluss getroffen wird, eine schlechtere Entscheidung, oder eine gleichwertige, in der sich geänderte moralische Grundhaltungen ausdrücken? Die Autoren und viele Kommentare scheinen von ersterem auszugehen, wenn sie schreiben, dass RTPJ Aktivität notwendig für moralisches Urteilen sei. So ganz sicher bin ich mir nicht. Angenommen, R hat eine (im Vergleich zu anderen) reduzierte RTPJ Aktivität und behauptet, die Intention des Handelnden sei für moralische Bewertungen irrelevant. Man müsste R dann schon qua Argument vom Gegenteil überzeugen. Und irgendwie gründet sich die Überzeugungskraft eines solchen Arguments , das gilt vermutlich für alle moralischen Urteile, auch auf einer Moralintuition, die R dann einfach nicht teilen dürfte. Die juristische Debatte um den untauglichen Versuch zeigt, dass es für so eine Ansicht rationale Argumente gibt (zumindest, wenn es um strafrechtliche Verantwortlichkeit geht). Darf man jetzt auf die neuronalen Entstehungsbedingungen der Moralintuition und auf ein Defizit in der moralischen Urteilsfähigkeit des R verweisen? Das würde voraussetzen, dass richtige Urteile eine bestimmte Hirnaktivität voraussetzen – das ist irgendwie anmaßend und fehlschlussträchtig (Aber welcher eigentlich? Kein Sollen vom Sein passt ja irgendwie nicht)..
Gleichwohl: man stelle sich vor, jemand wird solchen Einflüssen ohne sein Einverständnis ausgesetzt und trifft dadurch andere Entscheidungen. Sicherlich wird man behaupten, dass der Einfluss illegitim ist, weil er Fähigkeiten einschränkt, und nicht, weil er sie lediglich verändert… Eine Frage der mentalen Selbstbestimmung (die Auflösung in meiner Promotion, bald..jaja..).
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Neuronale Unterschiede zwischen moralischen und juristischen Urteilen
Dazu passend: Gibt es einen neuronal messbaren Unterschied zwischen dem Fällen moralischer und juristischer Urteile? Und unterscheidet sich das Gehirn des Anwalts in diesen Fällen von anderen Akademikern? Diesen Fragen gingen die deutschen Wissenschaftler Schleim, Spranger, Erk & Walter nach. Ihr Ergebnis: Es scheint tatsächlich einen Unterschied zu geben. Auch interessant: Die Anwälte gaben im Durchschnitt an, von den moralischen Szenarien weit weniger emotional berüht zu sein als die Vergleichsgruppe – neuronal ließ sich das nicht bestätigen. Vielleicht, so fragen die Autoren, könnte es daran liegen, dass Anwälte ihrem Standesbild entsprechen wollen und deswegen vorgeben, weniger berührt zu sein…
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DSM-V Entwurf veröffentlicht
Der Entwurf für das DSM-V (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), neben dem ICD das Standard Klassifikationssystem psychischer Störungen, ist veröffentlicht worden und sorgt für Diskussionen. Eine kurze Überblick über Änderungen beim Ärzteblatt und mind hacks, ein kritischer Bericht von Stephan Schleim bei Telepolis und ein weiterer bei Ars Medici. Dort wird der Chairman des DSM- IV, Frances, zitiert:
Wir glaubten [beim DSM-IV], besonders vorsichtig und sorgsam vorgegangen zu sein, aber wir mussten die schmerzhafte Lektion lernen, dass wir drei falsche Epidemien ausgelöst haben: die der autistischen Krankheiten, der bipolaren Störung bei Kindern und ADHS.
Über Sinn und Grenzen der ganzen Klassifikation ließe sich sowie abendfüllend streiten, v.a., wenn ihnen unbesehen rechtliche Relevanz zukommen soll (etwa bei der Frage, was die GKV zahlen muss oder ob eine Person schuldunfähig ist)..
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Und noch was schönes aus der Kategorie Presse und Wirklichkeit: Das Goldfischgehirn
Eine Spritze und die Angst ist weg? Dass das funktionieren könnte, haben japanische Forscher mit einem Experiment an Goldfischen belegt. (DRADIO Wissen – übrigens ein sehr interessanter neuer Sender, zB mit Jaspers Vorlesungen in full-time und 3stündigen Klangkulissen von DJ Koze).
Japanische Wissenschaftler haben durch Gabe von Lidokain, dem vom Zahnarzt Besuch bekannten Lokalänasthetikum, Angstkonditionierung gestoppt (Beh Brain Functions). Allerdings beim Goldfisch. Wie bei Telepolis passend kommentiert wird, ist unklar, wie dadurch bereits erworbene Ängste wieder gelöscht werden sollen (auch wenn man den Unterschied von Goldfisch und Mensch mal kurz beiseite lässt). Wenn man einen Teil des Gehirns mal kurz betäubt, ja dann fallen wohl einige Funktionen aus. In diesem Versuch das Lernen und Abrufen gelernter Reaktionen. Wenn aber in dieser Zeit kein Neu-Lernen möglich ist, scheint man auch die Angst nicht “löschen”, also durch eine neue Reaktion ersetzen zu können. Es müsste also eher heißen: Eine Spritze und ein paar Gehirnfunktionen sind weg. Klingt schon nicht ganz so verlockend…