Neurowissenschaften, Ethik & Recht

Enhancement News

Neues aus der Diskussion um Neuro-Enhancements:

In der April Ausgabe der Psychologie Heute zwei sehr unterschiedliche Beiträge: In einem, den der Titel “Angriff aufs Gehirn” schon treffend zusammenfasst, werden enhancende und therapeutische Eingriffe in einen Topf geschmissen und darauf hingewiesen, dass Enhancements auch Nebenwirkungen haben können. Wirklich. Dann folgt noch die Geschichte eines dbs Patienten, mittendrin die Forderung, die Forschung stärker zu regulieren. Ganz anders als dieser Nichtbeitrag zur Debatte ein Artikel von Jokeit & Hess: Länger wach: Die Dynamik des Neurokapitalismus, der auf einem schon vor zwei Jahren veröffentlichten Text der beiden beruht (Neurokapitalismus). Zeitlos, und daher immer noch lesenswert – ein Auszug:

“Ihre häufig bipolar affektive Aufmerksamkeitsstörung umschreibt vermutlich die Kernsymptome der seelischen Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts. So wie die Repression in vergangenen Jahrhunderten das stumm−dramatische Panoptikum der neurotischen Symptome hervorbrachte, so wie das scheinbar unbegrenzte Überangebot der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem wunschlosen Unglück der Depression einen geeigneten Nährboden bot, so könnte die Erhebung der berechnend vorselegierenden Aufmerksamkeit und emotionaler Intelligenz zu den entscheidenden Wettbewerbsvorteilen diese gerade beschädigen, nämlich im Falle des Scheiterns: Hilfloses Zappeln zwischen Zuviel und Zuwenig an verwertbaren Reizen, Unfähigkeit, sich einer allfälligen Signalüberflutung zu entziehen, Beschädigung der Entspannungsmechanismen und die damit einhergehende Verrohung des emotionalen Erlebens −− das alles sind Symptome, die schon heute unter dem Sammelbegriff ADHS im kollektiven Bewusstsein wahrgenommen werden.”

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Zwei Buchrezensionen in einer frei zugänglichen Ausgabe von BioSocieties

Zum einen: The Miltown Era,  reviewed by Joseph E Davis. Zum anderen eine die gesamte Enhancement Diskussion mangels vorhandener, risikofreier Enhancementprodukte als Phantomdebatte kritisiernde Rezension von Boris Quednow, die sich auf den von Schöne-Seifert / Talbot / Ach / Opolka herausgegebenen Sammelband Neuroenhancement – Ethik vor neuen Herausforderungen bezieht: “Do we really need a debate on a technology that will probably never materialize?”.

Ja, brauchen wir. Nicht weil ich denke, dass risikofreie Geistesoptimierer bald erfunden werden. Aber weil schon die Frage, welches Risiko vertretbar wäre, der Frage nach der Verfügbarkeit solcher Mittel logisch vorausgeht.

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Schon vor ein paar Monaten erschienen, mir aber erst jetzt in die Hände gefallen: Ein von Kramer / Eberbach / Wienke / Albrecht u. a. herausgegebener Tagungsband: Die Verbesserung des Menschen -Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin.

Mit ein paar ganz interessanten juristischen Beiträgen, etwa zum neuen § 52 II SGB V (keine Übernahme der Kosten für selbst- verschuldetete Behandlungen – Tättowierungen & Piercing), zur vertragsrechtlichen Erfolgshaftung von Ärzten, zur Frage, ob die Verbesserung des Menschen rechtsmissbräuchlich sein könnte, und, ganz grundsätzlich, über die Grenzen der Selbstbestimmung (Höfling). Ich erlaube mir, mal die “Einbecker Empfehlungen der DGMR zu REchtsfragen der wunscherfüllenden Medizin” wiederzugeben:

1. Die Maßnahmen des Enhancements werden grundsätzlich von dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Selbstbestimmung im Bereich der körperlich-seelischen Integrität erfasst. Es wird begrenzt durch den Schutz der Rechte Dritter, z.B. im Bereich der Fortpflanzungsmedizin, und durch kollidierende Gemeinwohlinteressen, z.B. wirtschaftliche Überstrapazierung der Solidargemeinschaft durch medizinisch indizierte Folgebehandlungen.

2. Für Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin bestehen besonders umfassende Aufklärungspflichten über deren Risiken und Nebenwirkungen. Zudem muss über mögliche rechtliche, psychosoziale und wirtschaftliche Folgen informiert werden, zu denen auch die Kosten der Behandlung etwaiger Komplikationen der durchgeführten Eingriffe gehören.

3. Bei bestimmten gravierenden oder irreversiblen Maßnahmen sollten in Anlehnung an § 1631 c BGB (Verbot der Sterilisation Minderjähriger) Mindestaltersgrenzen eingeführt werden. Für andere gravierende oder irreversible Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen wäre ggf. auch an vormundschaftsgerichtliche Kontrollen der elterlichen oder eigenen Entscheidung zu denken.

4. Verträge über Leistungen der wunscherfüllenden Medizin sind grundsätzlich als Dienstverträge zu qualifizieren, auch wenn sie zum Teil werkvertragliche Elemente enthalten.

5. Auch bei Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin unterliegt der Arzt der ärztlichen Berufsordnung. Diese ist auch anwendbar und zu beachten, wenn der Arzt außerhalb der Heilkunde – auch im gewerblichen Bereich (Wellness, Ernährungsberatung) – tätig wird. Die Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder sowie die Berufsordnungen der Landesärztekammern sollten entsprechende Klarstellungen enthalten.

6. Die Durchführung bestimmter Eingriffe der wunscherfüllenden Medizin sollte nur besonders weitergebildeten Ärzten bestimmter Fachgebiete vorbehalten
werden oder einen speziellen Fachkundenachweis erfordern.

7. Es ist zu empfehlen, die Aufnahme der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis von dem Nachweis einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung abhängig
zu machen, die auch den Bereich der wunscherfüllenden Medizin erfasst, wenn solche Leistungen durchgeführt werden.

8. Die Leistungsbeschränkung in § 52 Abs. 2 SGB V (angemessene Beteiligung an den Kosten einer Folgeerkrankung), welche nur bei einer medizinisch nicht indizierten
ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing Anwendung finden soll, stellt eine Diskriminierung dieser Versicherten und damit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Es ist daher eine Änderung dieser Norm zu empfehlen. Der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V, nämlich die Übernahme von Eigenverantwortung durch die Versicherten, sollte den Gesetzgeber nicht dazu veranlassen, das Solidaritätsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung weiter einzuschränken.

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Und schließlich: Der langersehnte Launch von Antidepressiva für Hunde und Katzen steht in Europa kurz bevor. Wie konnte der Markt der 10 Millionen psychisch gestörten Haustiere so lange vernachlässigt werden? Was sagt der Tierschützer? Prozac für Hunde schmeckt wie Fleisch und heisst passend “Reconcile”, denn es hilft gegen “Canine Separation Anxietx” (mehr als 600.000 britishce Hunde leiden an Depressionen). Gibts in den USA schon seit 2007.

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