Stammzellen nach Athen tragen. Der EuGH und Brüstle v. Greenpeace
Kurz hingewiesen sei auf die Grundsatzentscheidung des EuGH zur Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen in der Sache Brüstle v. Greenpeace, die ein vom Bonner Stammzellforscher gehaltenes Patent auf Vorstufenzellen menschlicher neuronaler Zellen betrifft. Ziel des Forschers ist es, solche Zellen in das menschliche Gehirn zu injizieren um dort neues funktionstüchtiges Gewebe entstehen zu lassen. Erste Studien zum Implantieren embryonaler Stammzellen beginnen derzeit. Greenpeace will die Aberkennung des Patents, der BGH hatte dem EuGH zur Vorabentscheidung u.a. die Frage vorgelegt, ob die Zellen Brüstles als Embryonen i.S.d. Biopatentrichtlinie gelten.
Die Rechtsmaterie ist kompliziert. Zum einen betrifft das Verfahren (vor dem BGH) nationalstaatliche, europäische und völkerrechtliche (WTO) Vorschriften, zum anderen trifft die Biopatentrichtlinie einige feine Unterscheidungen. So sei der menschliche Körper, „at any stage in its formation or development, including the sequence of a gene” nicht patentierbar; dagegen sollen technische Vorgänge, die auf die Isolation von Bestandteilen des menschlichen Körpers oder die künstliche Herstellung körperidentischer Elemente zielen, durch den Patentschutz gerade gefördert werden. Die verbrauchende Verwendung menschlicher Embryonen für industrielle oder kommerzielle Ziele stünde einer Patentierbarkeit entgegen. Alles steht unter einem ordre public Vorbehalt. Der EuGH entschied, der Begriff des „human embryo“ im Sinne des Patentrechts sei weit auszulegen so dass die in Frage stehenden Zellen darunter fallen. Daher dürfte der BGH das Patent von Brüstle aberkennen.
Juristisch ist die weite Auslegung von „Embryo“ gut vertretbar. Für eine ethische Bewertung fehlt mir, als Patentrechtslaie, das Verständnis (v.a. der praktischen Bedeutung) der Unterscheidungen zwischen Verfahren, ihrer Anwendung in „medical products“ und Bestandteilen des Körpers. (So bezog sich, soweit ich sehe, auch das umstrittene amerikanische Patent auf „Brustkrebsgene“ auf eine diagnostische Verwendung, solche Verfahren scheinen auch nach der Biopatentrichtlinie patentierbar zu sein). Auch erkenne ich nicht, anders als einige Kommentatoren in der Presse, dass damit irgendetwas über die Zulässigkeit der Stammzellenforschung gesagt ist, höchstens über die finanziellen Anreize zu dieser (Stimmen zum Urteil: O. Tolmein bei lto / Verschiedene bei SpON /Zeit)
Damit sind wir beim interessantesten Argument für die Patentierbarkeit. Es geht weniger um die Auslegung von „Embryo“ oder ethische Forschungsgrundsätze, und auch nicht, ob die Forschung mit Stammzellen “unmoralisch” sei (wenn, dann ist die Patentierung! sittenwidrig), sondern um finanzielle Interessen (Presseerklärung von Prof. Brüstle hier / Greenpeace dort). In etwa: Nur durch Patentierbarkeit lasse sich medizinischer Fortschritt erreichen, ohne sie sei der Standort Deutschland gefährdet. Faktisch mag das zutreffen. Die Forschung in diesen Bereichen ist wahnsinnig aufwendig und entsprechend teuer. Angenommen, spätere Verfahren würden die Grundlageninvestitionen nicht wieder einspielen, dürfte sich darauf wohl kein Unternehmen einlassen.
Und auch wenn es für Patentrechtsexperten nichts neues sein dürfte, finde ich diese Argumentation verblüffend, oder eher erschreckend. Im Namen der Forschung und Wissenschaft wird also mittlerweile die Patentierbarkeit efordert? Ich dachte immer, sie trete für frei verfügbares Wissen für alle ein, und nicht für exklusive, und das heißt ja v.a.: andere ausschließende Nutzungsrechte. Zwar sollten Patente wissenschaftliche Grundlagenforschung nicht behindern (angeblich – praktisch erfordern Forschungsprojekte häufig die Zustimmung von Patentinhabern), aber dennoch erscheint mir die völlige Unterwerfung weithin geteilter ethischer Grundsätze unter Verwertungsinteressen forschender Unternehmen im Namen der Wissenschaft ein hartes Stück. Deswegen vermag ich den zuvor in Nature veröffentlichten Aufruf einiger Wissenschaftler gegen ein Verbot der Patentierbarkeit nicht ganz verstehen.
Wenn Forschung nur mit Patentierbarkeit möglich ist, stimmt etwas im Grundlegenden nicht. Zum einen, warum eigentlich öffentliche Gelder Grundlagenforschung bezahlen und private Investoren die Gewinne der praktischen Anwendung einfahren. Zum anderen die noch ältere Frage der Aneignung, d.h. wer sich eigentlich wann was, ob nun Wissen oder Eigentum, aneignen und damit andere von der Nutzung ausschließen darf.
Um es mit einem geschätzten Jura Professor der Hamburger Universität zu sagen: Solange die Frage der gerechten Aneignung nicht prinzipiell geklärt wird, lassen sich die Probleme der sozialen Gerechtigkeit, etwa der Überschuldung (Aneignung auf Kosten der nächsten Generation) nicht klären. Gleiches dürfte für die Finanzunordnung, die Umweltprobleme (Aneignung natürlicher Ressourcen für die Überflussproduktion einiger Länder) und die Patentierbarkeit von Genen, Stammzellen und all dem, was aus ihnen folgt, gelten. Auf einer grundlegenden Ebene scheint es mir nicht weit, von Stammzellen bis nach Athen.
(Jean Luc Godard schlug neulich in der Zeit eine einfache Lösung für die griechische Schuldenkrise vor: Wann immer man sich beim Sprechen der Logik der alten Griechen bedient, müsste man zehn Euro überweisen, wer nicht zahlt, müsse eben anders denken…)