Strafrechtliche Fragen des Göttinger “Organskandals”
Der Göttinger “Organhandelsskandal” wirft einige interessante strafrechtsdogmatische Fragen auf. Zum einen, ob sich der Oberarzt durch die Manipulation der Daten, die zur Veränderung der Reihenfolge der Spendenempfänger führten, wegen Betrugs oder Bestechlichkeit strafbar gemacht hat. Zudem ermittelt die StA wegen (fahrlässiger) Tötung gegen die (vermeintlich) “bestochenen” Ärzte (FAZ Bericht). Durch die pflichtwidrige Bevorzugung von Patienten wurden logischerweise andere Patienten benachteiligt, d.h. sie erhielten ihre Spenderorgane später oder überhaupt nicht. Sollten Betroffene in dieser Zeit verstorben sein, was derzeit nicht feststeht, könnte die Manipulation der Reihenfolge eine Tötung darstellen.
Die entsprechende strafrechtliche Figur ist der sog. „Abbruch rettender Kausalverläufe“. Durch die Bestechung wurde eine institutionelle Rettungshandlung unterbrochen bzw. zeitlich verzögert, nicht unähnlich dem Lehrbuchfall, in dem ein Ertrinkender auf einen Rettungsring zuschwimmt, welcher dann von einem Dritten zurückgezogen wird. Im Tatsächlichen wäre zu klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit der Rettung durch Organtransplantation gewesen ist. Strafrechtsdogmatisch ist nicht restlos geklärt, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit sein muss: Reicht es aus, das Risiko der Nichtrettung zu erhöhen, oder muss im Strafprozess zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, dass sie nicht erfolgreich gewesen wäre?
Unter der Annahme, die Transplantation wäre zur Rettung hinreichend geeignet gewesen, stellt sich die Folgefrage, wie es sich auswirkt, dass an Stelle des in der Rangliste höher platzierten Patienten nun ein anderer durch die Transplantation gerettet wurde. Sie ist eine Variation des verfassungsrechtlichen Verbots der Abwägung von „Leben gegen Leben“, d.h. dass es nicht erlaubt ist, zur Rettung einer Person eine andere (für das Geschehen nicht verantwortliche) Person zu opfern. Und während man in einigen tragischen Situationen wie etwa 9-11 Szenarien eine Neigung verspüren mag, den Abschuss (und die Tötung) unschuldiger Passagiere in einem andere bedrohenden gekaperten Flugzeug vielleicht als rechtswidrig, aber nicht strafbar anzusehen und sich dafür auf einen (strafrechtlich nicht restlos sauber begründbaren) übergesetzlichen Notstand zu berufen, dürften in diesem Fall die näheren Umstände – institutionell, d.h. demokratisch legitimierte Festlegung der Rettungsreihenfolge; Habgier des Beschuldigten – gegen einen solche Lösung sprechen.
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