Habeas Mentem? Zum BVerfG Urteil über psychiatrische Zwangsbehandlungen
Im März traf das BVerfG (Beschl. v. 22.03.2011 – 2 BVR 882/09) eine interessante und in vielerlei Hinsicht wegweisende Entscheidung zu psychiatrischen Zwangsbehandlungen (Bericht bei SpiegelOnline; dem Betroffenenverband “Psychiatrie Erfahrener”; ein Kommentar des das Verfahren führenden Anwalts Dr. Schneider Mensah Addae).
Der Fall betraf nicht die praktisch häufigste Konstellation einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung, (dazu jüngst ein kritischer Artikel in der ZEIT), sondern die eines Patienten im Maßregelvollzug. Die landesrechtliche Ermächtigungsgrundlage (RP- MVollzG) erklärte das BVerfG für nichtig. Vor allem nahm das BVerfG – zurecht – Anstoß daran, dass keine Unterscheidung zwischen einsichtsfähigen und einsichtsunfähigen Patienten getroffen wird; auch die etwas sorglose Beurteilung von Risiken und Nebenwirkungen und die mangelnde externe Überprüfung ärztlicher Gutachten kritisierte das Gericht.
Unklar bleibt allerdings weiterhin, welche Eingriffe in die Psyche generell zulässig sind und wann der absoluten Schutz genießende “Kernbereich der Persönlichkeit” verletzt wird. Das BVerfG spricht von verbotenen Veränderungen “seelischer Abläufe”, doch leider führt es nicht weiter aus, was es denn unter der Seele versteht. Sofern darunter alle psychischen Phänomene verstanden werden, wären alle psychiatrischen Zwangsbehandlungen – auch im Betreuungsrecht – zu untersagen. Doch anscheinend geht das Gericht davon aus, dass einige Eingriffe durchaus zulässig sind. Hier bleiben also einige Unklarheiten, die in den Unklarheiten über die rechtliche Stellung der Psyche wurzeln dürften. Leider berücksichtigt der Beschluss die Besonderheiten von Eingriffen in die Psyche nicht. Stattdessen wird weiterhin die nebulöse „Freiheit zur Krankheit“ herangezogen.
Rechtsdogmatisch überzeugt vor allem die Rechtfertigung des Eingriffs kaum. Das BVerfG nimmt eine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit mit dem auf Freiheit (in die durch die Unterbringung im Maßregelvollzug eingegriffen wird) vor. Ohne dies auch nur zu thematisieren transfomiert es Grundrechte – also Abwehrrechte gegen den Staat – zu Eingriffsrechtfertigungen für den Staat. Das in der Ethik als Paternalismusfrage diskutierte Problem wird nicht erkannt – oder ihm wird keine rechtliche Bedeutung zugemessen. Doch so einfach kann man es sich bei derart schwerwiegenden Eingriffen nicht machen.
Eine ausführliche Kritik, ein bischen Eigenwerbung sei erlaubt, erschien in der letzten Ausgabe der ZIS: Habeas Mentem? Psychiatrische Zwangsbehandlungen im Maßregelvollzug und die Freiheit gefährlicher Gedanken. Volltext hier.