Neurowissenschaften, Ethik & Recht

Die PID und die Verfassung

Ein Gastbeitrag von Johann Dietzel

Nach reger Diskussion in der Öffentlichkeit hat der Bundestag Anfang Juli das Embryonen-Schutz-Gesetz (ESchG) reformiert und genetische Screenings (u.a. Prä-Implantationsdiagnostik, hier ein Video einer Zellentnahme) bei engen Ausnahmen verboten (§ 3a I ESchG: Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht,  wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft).

Durchgesetzt hat sich der modifizierte Antrag der MdB Flach, Hintze u.a. (BT-DrS 17/5451 & 17/6400; Plenarprotokoll hier; eine Zusammenstellung parlamentarischer Vorgänge & Materialien bei Beck Online). Die PID ist danach zulässig bei “hohem Risiko schwerwiegender Erbrankheiten” sowie “Tot- & Fehlgeburt.” Was unter ersteren zu verstehen ist, bleibt offen:

Das Gesetz verzichtet bewusst auf eine Auflistung von Krankheiten als Indikation für eine PID. Die Entscheidung, in welchen … Fällen eine PID durchgeführt werden kann, obliegt dem verantwortlich handelnden Arzt und dem Votum der Ethik-Kommission. Über jeden Fall wird einzeln entschieden”, was für weitere Diskussionen sorgen dürfte. (Beim EGMR ist eine Beschwerde gegen enge Indikationen in Italien anhängig. Auch scheint die sog. „Dreierregelung“, nach der nur drei Embryonen in-vitro gezeugt werden dürfen, § 1 I 3 ESchG, beibehalten worden zu sein, was praktische Problemen bereiten könnte).

Kritiker der PID erwägen, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Hier sei keine Stellung zur PID oder den zahlreichen (Gegen-) Argumenten bezogen, sondern die Rolle verfassungsrechtlicher Argumente untersucht. Denn es ist interessant, wie rechtliche Argumente auf ethische und politische Diskussionen einwirken. Zum Anschauen hier erstmal eine der Entscheidung vorausgehende Anhörung im Gesundheitsausschuss, mit zwölf Gutachtern unterschiedlicher Coleur und Ansichten, u.a. den Professoren Herdegen und Böckenförde (4h, deren ersten zwei mit kurzen pro-/contra Statements sich gut anhören lassen)

Weiter lesen: Verfassungsrechtliche Argumente von Befürwortern und Gegnern.

1. Befürworter: Absolutes Verbot verfassungswidrig

Also, was sagt die Verfassung zur PID? Ausdrücklich natürlich nichts. Im angenommenen Gesetzesentwurf heißt es, eine Neuregelung unterliege den Grenzen der Verfassung und ein absolutes Verbot der PID verstieße gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Das überrascht auf den ersten Blick. Den beim Lesen durch die Kommentierungen zu Art. 1 I GG  gewinnt man eher den Eindruck, die PID – nicht ihr Verbot – werde überwiegend für würdewidrig gehalten. Wird die Debatte andersherum „geframed“ (“Flach warnt vor Scheitern eines Verbots vor dem BVerfG”), beeinflusst das die Entscheidung: Wenn die Verfassung ein absolutes Verbot nicht zulasse, man aber auch keine blaue-Augen-Design-Kinder oder Sex-Selection möchte, erscheint eine Begrenzung auf „schwere Erbrankheiten“ als ein vernünftiger Kompromiss.

In der Begründung heißt es weiter:

Gerade im Bereich persönlicher Lebensgestaltung, in dem regulative staatliche Eingriffe besonderer Rechtfertigung bedürfen, bringt eine begrenzte Zulassung der PID den individuellen Freiheitsanspruch auf der einen und den Schutz allgemeiner Rechtsgüter durch den Staat auf der anderen Seite am ehesten zu einem gerechten Ausgleich. Denn eine derartige Zulassung ermöglicht den Paaren, die eine PID wahrnehmen wollen, die verantwortungsvolle Ausübung ihres Grundrechts auf Fortpflanzungsfreiheit, ohne dass damit die moralische Position derjenigen, die die PID strikt ablehnen, abgewertet oder für unhaltbar erklärt würde.

Klingt merkwürdig. Geht es doch bei der Neuregelung nicht primär darum, die moralischen Ansichten anderer (nicht) zu verunglimpfen, und auch nicht, elterliche Freiheiten gegen „allgemeine Rechtsgüter“ abzuwägen, sondern gegen, ganz konkret, das Lebensrecht des Embryos. Falls das gemeint ist, sollte man es auch so nennen. Schließlich ist das „Grundrecht“ auf Fortpflanzungsfreiheit, was man durchaus so sagen und aus Art. 2 I & Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gewinnen kann, durch die PID nur dann berührt, wenn es einen Anspruch auf „erbkrankheitsfreie Kinder“ umfasst – was ja erst zu entscheiden ist. Die Möglichkeit der Fortpflanzung durch in-vitro Fertilisation als solche steht nicht zur Debatte. Zwingend sind diese verfassungsrechlichen Ausführungen des Entwurfs also nicht. Wenden wir uns den Gegnern zu:

2. Gegner: PID ist verfassungswidrig

Sie argumentieren genau andersherum: Dem Embryo käme nach Verschmelzung schon in-vitro, also vor Implantation in den Mutterleib und dem Beginn der Schwangerschaft, Menschenwürde zu. Ein Aussortieren aufgrund genetischer Abnormitäten sei daher von Verfassungswegen verboten. Vor dem Hintergrund möglichst umfassenden Grundrechtsschutzes (hier: in dubio pro securitate), lässt sich das gut vertreten. Wenn dann nicht spätestens mit der Implantation eine weitere verfassungsrechtliche Facette zum Tragen käme. Das:

3. Verhältnis von Mutter zu Embryo

Denn wenn es einigermaßen sicheren verfassungsrechtlichen Grund gibt, dann wohl der, dass Frauen u.U. abtreiben dürfen. Bei allen Unklarheiten & Unerlichkeiten der §§ 218ff StGB und der nicht immer kohärenten Entscheidung des BVerfGs v. 1993, bei der der Status in vitro weder Gegenstand des Verfahrens noch der richterlichen Überlegungen waren, ist der Konflikt zwischen Mutter und Embryo derzeit praktisch so gelöst und weithin akzeptiert, dass die Leibesfrucht innerhalb der ersten 12 Wochen von der Schwangeren ohne Angabe eines Grundes, d.h. in realiter: aus jedem, abgetrieben werden darf. Ohne dieses Fass aufzumachen und eine Verschärfung des § 218 zu fordern, muss auch der PID-Gegner anerkennen, dass allein daraus nahezu zwingend das Verbot einer Zwangsimplantation folgt (die ihrerseits auch würdewidrig sein dürfte). Dies ist auch keine unzulässige Folgerung vom einfachen Recht auf Verfassungsrecht, sondern setzt voraus, dass sich in der Praxis der §§ 218 eine verfassungskonforme Abwägung mütterlicher und embryonaler Interessen ausdrückt.

Wieso es immer wieder heißt, Abtreibung und PID seien nicht vergleichbar, da bei der PID ein Kinderwunsch bzw. kein Interessenskonflikt bestehe, ist unverständlich. Offenbar ist der Wunsch ja nur ein bedingter, und selbst wenn nicht, geht es um die Frage, ob ein Embryo in-vitro aus bestimmten Gründen nicht implantiert werden darf. Wenn man ihn aus jedem Grund abtreiben darf, erscheint das als antizipierte Abtreibung fast logisch geboten (Nur fast, weil unter der Annahme, der Embryo „lebe“ bereits in-vitro, auch die Verkürzung des Lebens um wenige Sekunden oder Tage rechtswidrig wäre. Auch ein sicher bevorstehender Tod darf ohne Einwilligung nicht beschleunigt werden).

Nichtsdestotrotz: Weil das Verhältnis von Mutter zu Embryo derart ausgestaltet ist, überzeugt das Argument, die Biologie würde beweisen, dass mit Verschmelzung von Ei-  & Samenzelle alle Voraussetzungen für künftiges Leben in der totipotenten Zelle  vorhanden seien und nur noch ein biologisches Programm ablaufen müsse, kaum (die PID ist hierzulande erst bei pluripotenten Zellen zulässig, zum Problem der Abgrenzung hier). Biologisch mögen alle Grundlagen für Indivualität entstanden sein, allerdings liegen normativ noch nicht alle Voraussetzungen vor. Solange jedes Leben zu seiner Entstehung eines Mutterleibes bedarf, auf welchen jedoch kein Anspruch besteht, unterliegt das werdende Leben einer (rechtlichen) Bedingung: der mütterlichen Zustimmung. Auch ohne biologische Zäsur gibt es also sicher wenigstens eine normative zwischen Fertilisation und Geburt. Und um diese Dis-Kontinuität  kommt man auch durch einseitige Betonung eines unbedingten Würde- / Lebensrechts des Embryos nicht herum. Offensichtlich ist die Verschmelzung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entwicklung des Embryos über die ersten 5-8 Tage hinaus.

4. „Schleier des Nichtwissens“

Worüber man eigentlich nur streiten kann ist, welches Wissen die Mutter für ihre Entscheidung zur Nichtimplantation haben bzw. gewinnen darf. Die Verfassung scheint lediglich zu gebieten, dass man der Mutter Umstände, die zu ihrer eigenen Erkrankung führen können, nicht vorenthalten darf. Wenn aber, davon gehe ich aus, eine Schwangerschaft mit einem an Erbkrankheiten leidenden Embryo nicht gefährlicher ist als andere, gehören dessen (spätere) Eigenschaften nicht dazu. Angesichts der Abschaffung embryopathischer Indikationen sowie dem mit § 3a ESG ja gerade erlassenen Screening Verbot für alle weiteren Eigenschaften des Kindes, scheint die die Verfassung also zu erlauben, der Mutter bestimmtes Wissen durch Verbot der Untersuchung vorzuenthalten. Andererseits scheint dem mütterlichen Wissen aber auch keine verfassungsrechtlich gebotene Grenze nach oben entgegenzustehen. Denn wenn eine Abtreibung bei der Befürchtung, ein Kind könnte die falsche Augen- oder Hautfarbe besitzen, zulässig ist (so irrational & unmoralisch das sein mag!), ließe sich gerade vor dem Gebot des Embryoschutzes argumentieren, dass eine Untersuchung anstelle einer sofortigen Abtreibung die Lebenschancen erhöhe und damit rechtlich ein milderes Mittel darstelle.

5. Diskriminierung von Behinderten

Das teilweise vorgebrachte Argument, die Zulassung der PID würde die Diskriminierung von Behinderten verstärken, dürfte verfassungsrechtlich nicht derart gewichtig sein, die Abwägung hochrangiger Grundrechte auf beiden Seiten in eine Richtung umschwenken zu lassen. Solchen „atmosphärischen Störungen“ (Herdegen) sollte der Gesetzgeber begegnen, Eingriffe in Grundrechte rechtfertigen sie aber kaum. Allerdings hätte man sich, um solchen Tendenzen erst gar keinen Vorschub zu leisten, zeitnah und ausdrücklich der Förderung und Integration von Behinderten annehmen sollen. Die Behindertenverbände hätten sicher eine Menge guter Vorschläge, um das Leben von Betroffenen besser zu machen.

6. Ergo?

Redlicherweise wird man bloß sagen können, dass die Verfassung – von Gefahren für die Mutter abgesehen -  keine genuin eigenen Maßstäbe zur Lösung der PID Frage enthält. Sowohl ein totales Verbot als auch eine weit über die getroffene Regelung hinausreichende Zulassung von Untersuchungen dürften mit dem Grundgesetz verträglich sein, sofern die derzeitige Abtreibungspraxis dies ist. Im Kern geht es um eine bioethische bzw. -politische Frage, bei der für alle Ansichten vernünftige Gründe streiten. So richtig es ist, dass das Verfassungsrecht regen Anteil an ihr nimmt, entsteht doch der Eindruck, auf beiden Seiten komme so manch moralisches Argument im Gewande des Verfassungsgebotes daher, um für  kontroverse Diskussion unantastbar zu erscheinen.

Besonders an einem Argument wird dies offensichtlich. Wie könne es sein, so wird (rhetorisch) gefragt, dass aus Sachen menschliches Leben mit Würde hervorgehe? Das sei (schon logisch) nicht möglich, weswegen bereits ursprünglich Leben mit Würde existieren müsse. Nun ja. Könnte es sein, dass sich hier rechtliche Argumentation in der eigenen Begriffswelt verirrt? Die strenge ontologische Dichotomie zwischen Sachen, zu denen auch Pflanzen und Tiere gehören, und menschlichem Leben ist doch eine rechtliche Erfindung. Sie wird weder in der Lebenswelt geteilt, noch ist sie zwingend geboten. Wenn man seine Kategorien von vornherein so verengt, fehlt der nötige Spielraum für Differenzierungen bei Zellverbindungen vor einer Schwangerschaft und kann die Frage nicht anders als eine von “Leben und Tot” begreifen. Aber die Ambiguität des Status des Embryos wird dann nicht aufgeklärt, sondern wegkategorisiert. Und ausserdem: Beschreibt diese vermeintliche Unmöglichkeit nicht vielmehr das Wunder des Lebens? Das große Rätsel, wie aus Atomen und Teilchen Organismen, Pflanzen und Tiere werden, und schließlich Bewusstsein, Menschen und Rechtspersonen entstehen? Alles aus einer Ursuppe einiger chemischer Entitäten – müsste sie nich gar schon leben, wenn Leben aus Sachen nie entstehen kann?

Mal sehen, wie das die Karlsruher und Straßburger Richter sehen.

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