Neurowissenschaften, Ethik & Recht

DGPPN zu Zwangsbehandlungen

Die DGPPN hat zur geänderten Rechtslage von Zwangsbehandlungen, v.a. in Folge der Entscheidungen des BVerfG  zum Maßregelvollzug, Stellung bezogen (hier).

“Durch das Verbot der Behandlung ohne oder auch gegen den Willen des psychisch kranken Menschen werden

  1. Ärzte gezwungen, behandelbaren Menschen wirksame Hilfe vorzuenthalten.
  2. gestützt auf das Selbstbestimmungsrecht psychisch kranke Menschen einem eigengesetzlich verlaufenden Krankheits- und Sozialschicksal überlassen.
  3. in Folge ihrer psychischen Störung gefährliche Menschen, die einer Behandlung zur Wiedergewinnung ihrer sozialen Kompetenz nicht zustimmen, langfristig aus der Gesellschaft ausgegrenzt.
  4. Ärzte in den beidseits strafbedrohten Konflikt zwischen unterlassener Hilfeleistung und rechtswidriger Zwangsbehandlung gestellt.
  5. Therapeuten und Pflegende gezwungen, sich mit behandelbaren und aufgrund der psychischen Störung gewalttätigen Menschen körperlich auseinanderzusetzen.
  6. mechanische Zwangsmaßnahmen wie Isolierung und Fixierung in zynischer Weise als zu bevorzugende humane Behandlungsformen dargestellt.”

Das Thema ist viel zu komplex um es hier zu erörtern. Einige Punkte der aber bedürfen der Erwähnung.

Zunächst, nun, ja, man kann Ärzte zwingen, wirksame Hilfe vorzuenthalten. So sehr der Unmut der Ärzteschaft, behandlungsunwillige Patienten nur mehr “überwachen”  zu müssen statt zu therapieren, verständlich erscheinen mag, ist doch weder ärztliches Handeln noch die Heilung psychischer Krankheiten ein intrinsisch “richtiger” Selbstzweck, sondern muss stets auf das Wohl des Patienten bezogen sein. Worin dieses genau liegt, kann jedenfalls bei einsichtsfähigen Personen niemand gegen deren Willen bestimmen, aus medizinisch-psychiatrischen Diagnosen und Kategorien allein jedenfalls lässt es sich nicht ableiten.

Deswegen besteht auch kein Konflikt zwischen unterlassener Hilfeleistung und dem Verbot der Zwangsbehandlung (4).  Jede rechtlich geforderte Hilfeleistung muss natürlich im Rahmen des rechtlich Erlaubten liegen, und diesen hat das BVerfG beschnitten. Es könnte sein, dass einige Gerichte dies in Einzelfällen nicht richtig gewürdigt haben. An Fallbeispielen wäre ich interessiert. Selbstverständlich muss es Rechtssicherheit für Ärzte geben.

Doch wird den Ärzten auch nicht “eine weitere strafbewehrte Pflicht übertragen, nämlich bei psychisch gestörten Menschen die für diese sinnvolle Hilfe zu unterlassen”. Die strafbewehrte Pflicht, andere nicht zu schädigen (hier: § 223 StGB) besteht schon immer. Damit ärztliche Eingriffe gerechtfertigt sind bedürfen sie der Einwilligung des Patienten, und diese liegt bei Zwangsbehandlungen eben nicht vor.

Die DGPPN fordert: “eine eindeutige gesetzliche Grundlage für eine erforderliche Zwangsbehandlung auch bei einwilligungsfähigen Patienten, die infolge einer psychischen Störung gefährlich geworden sind und der Verantwortung von Ärzten übergeben werden.”

Sicher ist es kein schönes Schicksal, als gefährlich eingestufter Verwahrter ohne Behandlung und Aussicht auf Freilassung in der Unterbringung zu darben.Aber man muss bedenken, dass es nicht die fehlende Zwangsbehandlung ist, die die Untegebrachten “aus der Gesellschaft ausgrenzt”. Es ist die Gesellschaft, die diese Personen durch die Unterbringung wegschließt, was angesichts der großen prognostischen Unsicherheiten schon für sich nicht unbedenklich ist. Aus dieser ersten Ausgrenzung kann sich nun keine Duldungspflicht für weitere Eingriffe – Behandlung – ergeben. Sie muss dem einsichtsfähigen Patienten zur eigenen, gewiss harten Entscheidung überlassen bleiben. M.E. sind die Worte des BVerfG in diesem Punkt von deutlicher Klarheit: Zwangsbehandlungen gegen den Willen einsichtsfähiger Patienten müssen strikt unterbleiben. Daran kommt auch keine gesetzgeberische Neufassung der Vorschriften vorbei und ist auch bei den strukturell ähnliche Fälle erfassenden Vorschriften zur Therapieunterbringung zu beachten. Diese Trennlinie ist richtig, sie ist geradezu geboten.

In der Praxis dürfte, so vermute ich, das Problem doch dadurch “gelöst” werden, dass solche Patienten aufgrund ihrer, wie es immer heißt, “krankheitsbedingten Uneinsichtigkeit” eben als nicht-einsichtsfähig gelten.

Was mich etwas verwundert ist die scharfe Wortwahl, mit der einige doch deutlich den Vorgaben des BVerfG widersprechende Forderungen aufgestellt werden. Etwa: “Dies schließt diese Patienten von den Fortschritten der Psychiatrie in den zurückliegenden Jahren aus und idealisiert in zynischer Weise die Rückkehr zur Verwahrpsychiatrie im Selbstbestimmungsinteresse des Patienten.”

Das verwundert, weil die DGPPN ansonsten einen selbstkritischen Blick nicht vergessen zu haben scheint. Jedenfalls finden sich im Programm des Berliner Kongresses immer Vorträge, die die Rolle der Psychiatrie thematisieren.

Das Kernproblem scheint wieder im Krankheitsbegriff zu liegen. Aus humanitären Werten verpflichteter ärztlicher Sicht ist es möglicherweise einfach nicht verständlich, warum Betroffene sich der Behandlung einer offensichtlich vorliegenden Krankheit verweigern. Nimmt man aber kurz die andere Perspektive ein und erinnert sich, dass gerade im psychischen Bereich Krankheiten keine messbaren Entitäten wie Atemwegsinfektionen sind, sondern gesellschaftlich-sozial-kulturell konstruierte Begriffe, und bedenkt die faktisch ja ebenso vorliegende Rolle und Funktion der Psychiatrie als Normierung, Normalisierung und möglicherweise Disziplinierung des Geistes, erscheint eine Begrenzung von Zwangseingriffen dringend angebracht.

  • Habe von einen Fall gelesen: Antideppresiva wurden nocht angeboten, Arzt wurde haftpflichtig. (Da es mich nicht weiter interessiert hat, habe ich mir die Entscheidung leider nicht notiert.)

    Aber die Konstellation, Haftung für Nichthandeln, im Sinne von nicht unter Zwang Substanzen zu spritzen, habe ich nicht auch im Entferntesten etwas gehört.

    Es gibt eben kein Gesetz, in dem steht bei … sind … zu spritzen.

    Denkbar wäre, ein nicht zur freien Willensbestimmung Befähigter würde nach Erlangen des Zustands der freien Willensäußerung den Arzt verklagen mit der Begründung, eine zwangsweise durchgeführte Medizierung hätte seinen Leidensweg verkürzt. Die Leute, die die Substanzen ablehnen, wissen meistens sehr genau warum. Und die leiden auch nicht. Denen wird Leiden zugeschrieben.

    Rechtlich müsste meines Erachtens in dem konstruierten Beispiel ein Schriftstück/sonstiger Beweis vorliegen, aus dem hervorgeht, dass der Betroffene natürlichen Willens die Anordnung getroffen hatte, es dürfe nicht getan werden. Diese Anordnung würde wegen fehlenden freien Willens anfechtbar und nichtig. Dem steht der Einwilligungsvorbehalt für medizinisches Handelndürfen entgegen. Ich denke, deshalb wird ja von ärztlicher Seite versucht, die Behandlungsablehnung durch Stellvertretereinwilligung zu ersetzen. Und es wird schlicht gelogen, man dürfe das, es stehe im Gesetz.

    Mit der Behauptung “unterlassener Hilfeleistung” und strafrechtlicher Konsequenzen macht man die Pfleger und Famuli fit dafür, dass die jahrzehntelange Praxis der Expertenhilfe durch Zwang ihre ethische Rechtfertigung erfährt und weiter fort bestehen kann.

    Es ist eine Kränkung sondergleichen, die die Psychiater hinnehmen müssen mit der Tatsache, dass ihr Handeln hier keine Rechtsgrundlage hat.

  • Guten Tag Frau Stetter,

    der Antidepressive-Fall würde mich natürlich interessieren. Generell, da hat die DGPPN nicht Unrecht, treffen Ärzte verschiedene Handlungspflichten – zum einen die jeden treffende Hilfeleistungspflicht – zum anderen sind sie meistens Garanten für die Gesundheit ihrer Patienten, d.h. sie müssen eine drohende Gesundheitsverschlechterung im Rahmen der zumutbaren Mittel abwenden. Hinzu können vertragsrechtliche Pflichten treten. Insofern ist ärztliches Handeln häufig tatsächlich geboten und es bestehen Graubereiche, in denen Ärzte Gefahr laufen, durch Nichtbehandlung in Haftung genommen zu werden. Klare Regelungen und Rechtssicherheit für Ärzte, wie von der DGPPN gefordert, sind für alle Beteiligten wichtig. Meine Kritik richtet sich nur gegen die Ausweitung dieser Befugnisse auf Einsichtsfähige.

    Zu Ihrem Fall mit dem Stellvertreter: Sofern ein Patient nicht mehr geschäftsfähig/einsichtsfähig ist, kann ein gesetzlicher Vertreter (Betreuer) bestellt werden. Dieser hat dann zum Wohle des Patienten zu entscheiden, und dies kann auch die Behandlung gegen den, wie die Juristen sagen, “natürlichen Willen” des Patienten beinhalten. Das ist also keine Lüge der Ärzteschaft.
    Solchem Vertreterhandeln kann man in (beschränktem) Maße durch Vorabverfügungen entgegenwirken (dazu mehr hier: http://www.patverfue.de/).

  • Guten Morgen Herr Bublitz,

    in der praktischen Umsetzung sieht es so aus, dass Patienten, die “nein” sagen grundsätzlich als “nicht einsichtig” gelten. Das BW-Unterbringungsgesetz sieht psychische Krankheit, Behinderung, Störung von erheblichem Ausmaß vor. Angekreuzt wird bei “schizoaffektive Störung” Krankheit im Vordruck für den Antrag. (Nach WHO ist selbst Schizophrenie eine disorder. Schizophrenie ist m.E. eine Störung von erheblichem Ausmaß, jedoch keine “Krankheit”.)

    Siehe zur jügsten Entwickl.: http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/s15/page/bslaredaprod.psml?&doc.id=KORE206622012%3Ajuris-r01&showdoccase=1&doc.part=L

    Für die von zwei Gutachtern für uneinsichtig gehaltene Betroffene wurde die Betreuung zwecks Willensüberwindung angestrebt. Abs. 6. (siehe zur Thematik auch die dort zitierte LG Stuttgart Entscheidung oder der Hinweis eines der Gerichte zur Olzen-Interpretation)

    Willensvertretung geht, nicht geht Willensersetzung.

    Lüge bezog sich auf Methoden, jemand zu Freiwilligkeit zu bewegen. “man dürfe zw-beh., stehe im Gesetz”; wenn Sie Zeitungsart. lesen: Ärzte dürften gegen den Willen mit Medikamenten “versorgen” (Lüge der DGPPN ist: Bundesverf. zwinge zu u. H., definitiv.)

    (Noch-)Entwurf des Patientenrechtegesetz (Behandlungsvertrag innerh. BGB) ist klare Regelung und Rechtssicherheit für Psychiater.

    Für heute viele Grüße

  • Guten Morgen Frau Stetten,

    das von Ihnen verlinkte Urteil ist eine sehr interessante Entwicklung. Vielen Dank für die Information. Es betrifft die betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Tatsächlich ist die Rechtsgrundlage (§ 1906 BGB) insofern nicht eindeutig, als dass sie nur die Unterbringung betrifft, nicht aber die Zwangsbehandlung erwähnt. Der BGH hat dies vor ein paar Jahren zu “retten” versucht, indem er die Vorschrift so auslegte, dass sie auch die Zwangsbehandlung umfassen müsse, weil die Unterbringung sachlich nur mit ihr Sinn mache. Dagegen wurde einige Kritk geübt, die nun durch das BVerfG Urteil offenbar wieder auflebt und von ersten Gerichten geteilt wird. Mal sehen wie sich das weiterentwickelt.

  • In Baden-Württemberg hat die Psychiatrielobby es vorerst geschafft, ihren Willen entgegen den Interessen der sogenannten Betroffenen durchzuboxen:

    Baden-Württemberger Landtag beschließt Gesetz zur Zwangsbehandlung

    Rechtsexperten erwarten jedoch, daß dies zu erneuten Verfassungsbeschwerden führen wird. Möglicherweise wird dann diese Neufassung von UBG §8 auch wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert, was dann äußerst peinlich für die grün-rote Landesregierung wäre.

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