Neurowissenschaften, Ethik & Recht

Humanitäre, gewaltreduzierte Unterbringung zu teuer für Baden-Württemberg

Baden Württemberg hat eine Gesetzesänderung des Unterbringungsgesetzes verabschiedet, die Zwangsbehandlungen wieder erlauben soll. Behandlungen unter dem alten UBG waren vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden.

Den Gesetzesentwurf gibt es hier.

Interessant und auch etwas erschreckend ist v.a. die Gesetzesbegründung. More »

Forbes präsentiert eine ganz interessante Liste der 10 wichtigsten “Brain and Psychology Stories” des letzten Jahres: von Affen in der midlife Crisis und den Fehlern der vermeintlich wirksamen sexuellen Umorientierungstherapie bis zu den üblichen Vergleichen von Politikern mit Psychopathen (here). Ebenso werfen sie die 10 wichtigsten Fragen an die Neurowissenschaften für 2013 auf. Immerhin Platz 2: Der Einsatz und die Verwertbarkeit bildgebender Verfahren in Gerichtsverfahren (here).

Passend zum Jahresbeginn und den guten Vorsätzen polemisiert die linke Berliner Jungle World trefflich über den Selbstoptimierungswahn und den geistig – kulturellen Hintergrund der Enhancement Debatte. So lustig und richtig (und lesenswert und erschreckend) die Bloßstellung der absurden Methoden der Selbstgeißelungen des modernen Menschen auch ist und so lächerlich die Lachtherapien und Erfolgsocoachings sein mögen, bleiben solche Kritiken immer einem Erklärungsmuster verhaftet: Alles Streben ist letztlich Resultat eines „falschen Bewusstseins“. Und auch wenn viel Wahres dran sein dürfte an der Kritik der überzogenen Leistungsanforderungen und ihren Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden des Einzelnen, bleibt die Frage, wie denn das wahre Leben in eben dieser Gesellschaft der „falschen Glücksversprechen“ beschaffen sein sollte. Auch die Linke könnte ja mal beginnen, die Wege ins Glück zu vermessen, statt im Spott über die anderen zu verbleiben. Vielleicht sogar empirisch unterfüttert. Eine  Studie, mit der man sich beschäftigen könnte, wäre etwa die von Kahneman & Deaton, PNAS 2010: High income improves evaluation of life but not emotional well-being.

German Philosophers Song

Starting the new year on the light side of things, here is a song that, as a commentator put it, has reveceived highest Marx on youtube after he listened to it from many Engels. It’s quite fun at least watching it for the first time.

Goldman Sachs wettet auf Resozialisierungen

.. oder sollte man sagen: investiert in Resozialisierungsprogramme? Der SPIEGEL berichtet (hier). Manchmal liegen Albtraum und Vision nahe bei einander. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll, es klingt eigentlich (zu) gut. Sollte es letztlich das Finanzkapitel sein, dass uns bessere Resozialisierungsmaßnahmen beschert? Schwer zu glauben. Gerade deswegen möglich. Wer mehr Infos und Meinungen hat, her damit.

Und last but not least: Einen guten Rutsch!

 

Anläßlich des Turing Jahres fand im Sommer eine hochkarätig besetzte Konferenz über aktuelle Fragen der Bewusstseinsforschung in Montreal statt. Aufzeichnungen der Vorträge stehen auf der Webseite und bei youtube frei verfügbar im Netz. Sehr schauenswert. Hier der Vortrag von Mele über die auch rechtlich hoch bedeutsame Frage, welche Rolle bewusste Entscheidungen bei Handlungen spielen.

 

 

 

Zwangsbehandlung Anhörung Rechtsausschuss

Die Anhörung zur Änderung des § 1906 BGB zur Wiederermöglichung von Zwangsbehandlungen findet am Montag statt. Die Stellungnahmen der Gutachter sind auf der Seite des Bundestages einsehbar (nun im Archiv: neue URL diese).

Again, Zwangsbehandlung

Die Debatte um die Zwangsbehandlung nimmt Fahrt auf (etwa in der heutigen Print Ausgabe der Zeit). Der Vorstoß der Regierungskoalition, die Neuregelung (BT DrS 17/11513) der psychiatrischen Zwangsbehandlung mehr oder weniger heimlich, jedenfalls ohne größere Debatte durchzudrücken, ist erstmal verlangsamt und der Entwurf in die Ausschüsse verwiesen worden.

Hingegen beginnen einige Gerichte, die sich mit echten Patienten und konkreten Fällen zu beschäftigen haben, angesichts der praktischen Folgen des „Behandlungsverbots“ offenbar ungeduldig zu werden. Im privaten Gespräch signalisierte mir ein Richter, dass man darüber nachdenke, bei akuten Fällen Behandlungen nach PsychKG weiterhin für zulässig zu erachten.  Durch einen freundlichen Hinweis einer Leserin wurde ich zudem auf eine durchaus spektakuläre Entscheidung des AG Offenbach (14 XVII 1205/12 vom 26.10.2012) aufmerksam, in der sich das Gericht über die Entscheidung des BGH zur Unzulässigkeit betreuungsrechtlicher Zwangsbehandlungen hinwegsetzt und sie für zulässig erachtet. WEITERLESEN

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Neuerscheinung: Gehört mein Körper noch mir? S. Beck (Hrsg.)

An dieser Stelle sei auf den soeben bei Nomos erschienenen, von Susanne Beck herausgegeben Band Gehört mein Körper noch mir? Strafgesetzgebung zur Verfügungsbefugnis über den eigenen Körper in den Lebenswissenschaften hingewiesen, zu dem ich ein Kapitel über rechtsdogmatische Probleme paternalistischer Grundrechtseingriffe beigetragen habe.

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Gesetzesentwurf Zwangsbehandlung

Offenbar steht eine Änderung des Betreuungsrechts zur (Wieder-) Ermöglichung von Zwangsbehandlungen vor der Verabschiedung im Bundestag. Die Regierungskoalition hat einen Änderungsantrag für einen eigentlich ein anderes Thema betreffenden Gesetzesentwurf veröffentlicht, der untenstehende Änderungen des § 1906 BGB vorsieht. Damit werden zwar einige der Bedenken des BVerfG adressiert (Betreuungsgericht als “unabhängige Prüfungsinstanz”), allerdings nicht alle.  Eine kritische Stellungnahme des Vereins Betreuungsgerichtstagfindet sich hier. Auf das grundsätzliche Problem des in einer psychiatrischen Zwangsbehandlung liegendem Eingriffs in den Kernbereich der Persönlichkeit, den das BVerfG ausdrücklich festgestellt hat, geht die Begründung des Entwurfs nicht ein.

Änderung § 1906 BGB

1. Dem Wortlaut des Absatzes 1 Nummer 2 werden die Wörter „zur
Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens“
vorangestellt.

2. Dem Absatz 2 werden die folgenden Sätze angefügt:
„Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen
wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem
Betreuungsgericht anzuzeigen.“

3. Absatz 3 wird durch die folgenden Absätze 3 und 3a ersetzt:

„ (3) Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer
2 dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme),
so kann der Betreuer in sie nur einwilligen, wenn

1. der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer
geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der
ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht
handeln kann,
2. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen dieser Unterbringung
zum Wohle des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden
erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
3. der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere zumutbare
Maßnahme abgewendet werden kann und
4. wenn der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme
die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

§ 1846 ist nur anwendbar, wenn der Betreuer an der Erfüllung seiner
Pflichten verhindert ist.

(3a) Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf
der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Der Betreuer hat die Einwilligung
in die ärztliche Zwangsmaßnahme zu widerrufen, wenn ihre
Voraussetzungen wegfallen. Er hat den Widerruf dem Betreuungsgericht
anzuzeigen.“

Sowie weitere, hier unbeachtliche Ergänzungen.

Strafrechtliche Fragen des Göttinger “Organskandals”

Der Göttinger “Organhandelsskandal” wirft einige interessante strafrechtsdogmatische Fragen auf. Zum einen, ob sich der Oberarzt durch die Manipulation der Daten, die zur Veränderung der Reihenfolge der Spendenempfänger führten, wegen Betrugs oder Bestechlichkeit strafbar gemacht hat.  Zudem ermittelt die StA wegen (fahrlässiger) Tötung gegen die (vermeintlich) “bestochenen” Ärzte (FAZ Bericht). Durch die pflichtwidrige Bevorzugung von Patienten wurden logischerweise andere Patienten benachteiligt, d.h. sie erhielten ihre Spenderorgane später oder überhaupt nicht. Sollten Betroffene in dieser Zeit verstorben sein, was derzeit nicht feststeht, könnte die Manipulation der Reihenfolge eine Tötung darstellen.

Die entsprechende strafrechtliche Figur ist der sog. „Abbruch rettender Kausalverläufe“. Durch die Bestechung wurde eine institutionelle Rettungshandlung unterbrochen bzw. zeitlich verzögert, nicht unähnlich dem Lehrbuchfall, in dem ein Ertrinkender auf einen Rettungsring zuschwimmt, welcher dann von einem Dritten zurückgezogen wird. Im Tatsächlichen wäre zu klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit der Rettung durch Organtransplantation gewesen ist. Strafrechtsdogmatisch ist nicht restlos geklärt, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit sein muss: Reicht es aus, das Risiko der Nichtrettung zu erhöhen, oder muss im Strafprozess zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, dass sie nicht erfolgreich gewesen wäre?

Unter der Annahme, die Transplantation wäre zur Rettung hinreichend geeignet gewesen, stellt sich die Folgefrage, wie es sich auswirkt, dass an Stelle des in der Rangliste höher platzierten Patienten nun ein anderer durch die Transplantation gerettet wurde. Sie ist eine Variation des verfassungsrechtlichen Verbots der Abwägung von „Leben gegen Leben“, d.h. dass es nicht erlaubt ist, zur Rettung einer Person eine andere (für das Geschehen nicht verantwortliche) Person zu opfern. Und während man in einigen tragischen Situationen wie etwa 9-11 Szenarien eine Neigung verspüren mag, den Abschuss (und die Tötung) unschuldiger Passagiere in einem andere bedrohenden gekaperten Flugzeug vielleicht als rechtswidrig, aber nicht strafbar anzusehen und sich dafür auf einen (strafrechtlich nicht restlos sauber begründbaren) übergesetzlichen Notstand zu berufen, dürften in diesem Fall die näheren Umstände – institutionell, d.h. demokratisch legitimierte Festlegung der Rettungsreihenfolge; Habgier des Beschuldigten – gegen einen solche Lösung sprechen.

Links:

Zeit

SZ