Neurowissenschaften, Ethik & Recht

Organlistenmanipulation = versuchter Totschlag?

Nachdem in den letzten Tagen viel über die (vermeintlichen) Stafbarkeitslücken bei der Manipulation der Organempfängerlisten diskutiert wurde und die Einführung neuer Straftatbestände erwogen wird, (SZ vom 13.1. / TAZ 10.1) versucht es die StA Braunschweig (wie schon die StA Göttingen letztes Jahr) nun mit dem Vorwurf der Tötung, und zwar einer versuchten Tötung. Damit umgeht man schwierige Fragen, ob ein eigentlich vorrangig zu behandelnder Patient durch die Manipulation der Liste vorzeitig verstorben ist. Stattdessen würde es ausreichen, wenn die StA hinreichend belegen kann, dass der Arzt bei Abgabe der falschen Daten billigend in Kauf nahm, d.h. ernsthaft damit rechnen musste,  dass vor-rangig platzierte Patienten mangels Transplantation vorzeitig versterben werden. Eine interessante, aber durchweg plausible Einschätzung der StA (die natürlich von vielen unbekannten tatsächlichen Fragen abhängt). Sie bringt sogar die TAZ hier dazu, über die Voraussetzungen der Versuchsstrafbarkeit zu philosophieren (ob es allerdings notwendig ist, dass der Täter sein Opfer – hier ein anonymer Patient auf der Warteliste – identifizieren kann, ist zweifelhaft. Es reicht das Wissen, dass es sich um einen Menschen handelt). Die andere rechtsdogmatisch interessante Frage ist, ob der Arzt sein Handeln damit rechtfertigen kann, mit der Tötung des Einen die Rettung eines Anderen bewirkt zu haben. Selbst wenn dies der Fall wäre, erscheint diese Rechtfertigung hier fraglich. Normalerweise kann das Recht keinen Vorwurf erheben, wenn von zwei gefährdeten Personen nur eine gerettet werden kann. Hier aber gibt es eine festgelegte Rettungsreihenfolge. Dennoch scheint es eine andere Form des Unrechts darzustellen, eine Rettungsreihenfolge zu missachten (bzw. zu manipulieren), als jemanden zu töten (bzw. dieses zu versuchen). Diese Frage wird noch für einige strafrechtliche Diskussionen sorgen.

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