Neurowissenschaften, Ethik & Recht

PID und Genetically Modified Humans

Rechtsphilosophen Kongress in Frankfurt (IVR). Wer hätte gedacht, dass dafür so viele Leute aus Brasilien, Taiwan und China nach Deutschland fliegen (über 800 Teilnehmer)? Und teilweise auch noch perfekt deutsch sprechen? Die meisten Plenarvorträge waren recht gut, sehr überzeugend der von Seana Shiffrin aus LA, die einen Gedanken stark gemacht hat, den ich auch in meiner Promotion aufgreife. Nämlich, dass die Meinungsfreiheit eine innere Seite hat, die die kognitiven Fähigkeiten der Meinungsbildung umfasst (in Menschenrechtskonventionen heißt es mitunter auch to  form and hold opinions). M. E ist dies ein Teilbereich der mentalen Selbstbestimmung. Shiffrin hat das gekonnt ausgeweitet und etwa auf „compelled speech“ bezogen, z.B. die pledge of allegiance, die wohl immer noch an jeder amerikanischen Schule morgens im Unterricht mit Aufstehen und Hand-aufs-Herz gesprochen wird (.. one nation, under god, indivisible…).

Ein ganz guter Vortrag über liberale Eugenik animierte mich zum folgenden follow- up Post über die PID. Da ich den Redner nicht mehr wortgemäß zitieren kann, lass ich seinen Namen mal beiseite. Wie verhält sich die restriktive Freigabe  der PID zu Möglichkeiten, verändernd ins Erbgut zu intervenieren? Damit meine ich Veränderungen des Genotyps, um Eigenschaften der (künftigen) Person (Phänotyp) zu modifizieren, also genetically modified humans. Man wird noch weiter unterscheiden müssen zwischen Gen-Therapien, die nur Eigenschaften des Individuums verändern, und weitervererbbaren Änderungen. Zumindest letztere sind in Deutschland gem. § 5 EmbryonenSchutzG verboten (sogar strafbar, max. 5 Jahre). Interessanterweise gibt es bereits seit einem Experiment aus dem Jahr 2000 genetically modified humans (orig. Paper von Barritt et al. hier)

WEITERLESEN – GENETIC ENGINEERING & PID

Jedenfalls ruft derartiges genetic engineering mindestenes ebenso starke Ablehnung hervor wie die PID, rückt es doch die Auswahl bestimmter Eigenschaften und „Designer Babys“ endgültig ins Reich des Machbaren. Die normativen Prinzipien im Umgang mit solchen Interventionen sind jedoch deutlich andere.

Das berühmte Argument von Habermas gegen die liberale Eugenik bezieht sich u.a. auf das Verhältnis der “künstlich geschaffenen“ Person zu ihrem „Creator“,  z.B. den Eltern. Kann sie sich als frei erleben, wenn ihre Eigenschaften doch durch Intervention angelegt wurden? Anders als die natural lottery, auf die zumindest kein anderer Mensch Einfluss hat, geht dem genetic intervening eine bewusste Wahl voraus. Eigenschaften sind dann kein Ausdruck mehr von chance, sondern choice. Deswegen, so der Redner, könnten diese Praktiken die gesellschaftlichen Vorstellungen von Selektion drastisch verändern. Da ist sicherlich was dran. Aber es ist wichtig zu sehen, dass es eine andere Art der Selektion ist. Bei der PID wird der in-vitro gezeugte Embryo in toto verworfen, weil er bestimmte Eigenschaften hat. Bei genetischen Interventionen hingegen werden Eigenschaften eines existierenden Embryos verändert. Der zentrale Unterschied liegt also darin, dass sich der eine Embryo nie weiterentwickeln kann, der andere aber schon, er bleibt sogar häufig identisch (Feinheiten der philos. Debatte um diachrone Identität außer acht gelassen). Das Individuum bleibt also erhalten, und deswegen ist die Frage nach dem Rechts- bzw. Würdestatus des Embryos nicht (so) entscheidend. Aus Sicht des Betroffenen, so könnte man sagen, ist der Eingriff verglichen mit der Verwerfung wesentlich weniger schwer, vlt. ein qualitativ anderer, zweifelsohne harmloser.

Und jetzt kommt, was immer, so auch vorgestern, für irritiertes Kopfschütteln sorgt: Gegen viele der Eigenschaften, die per genetischer Intervention verändert werden,  „selektieren“ wir, wenn man das Wort in diesem Zusammenhang überhaupt anwenden möchte, schon immer ­ – ohne dass es irgendwelche ethischen Bedenken hervorruft. Bei Behinderungen dürfte diese Form der „Selektion“ vielmals gar moralisch geboten sein. Das mag unbarmherzig klingen, ist aber das Gegenteil. Man stelle sich vor, es gäbe medizinische Möglichkeiten, die Behinderung eines Kindes zu heilen, etwa ein Verfahren, welches nervenbedingte körperliche Behinderungen durch Wachstum neuer Bahnen heilt. Oder, um es aufs Psychisch-Erbliche zu beziehen, angenommen, die These,  Autismus hänge mit Oxytocin zusammen, würde sich als zutreffend herausstellen und Autismus könnte durch Vergabe hoher Dosen gemindert oder geheilt werden. Sollten Eltern und Ärzte diese Verfahren einsetzen? Außer den Nebenwirkungen des Eingriffs sehe ich keinen Grund, der dagegenspricht.

Es wird doch wohl (fast) niemand behaupten, die zu heilenden Eigenschaften hätten einen intrinsischen Wert. Das zeigt sich gerade an dem berühmten britischen Fall eines tauben Päärchens, das ein taubes Kind (per künstlicher Befruchtung) zeugen wollte. Die Empörung, gezielt ein taubes Kind zur Welt zur bringen, rührt doch genau daher, dass man der Taubheit eben keinen intrinsischen Wert zuspricht, sondern sie andersherum als eine Eigenschaft ansieht, die, wenn möglich, bitte zu verhindern / vermeiden / zu heilen wäre. Die Eltern wollten die Taubheit als einen anderen Zugang zum Leben, nicht als eine Einschränkung des (“normalen”) Lebens angesehen wissen. Da mag man im Fall der Taubheit drüber streiten. Auf andere Einschränkungen verallgemeinern lässt sich das aber keinesfalls. Zumeist wäre das Vorenthalten einer Therapie für Kinder ein Fall für das Vormundschaftsgericht. Prima facie liegt es im Kindeswohl, möglichst vielfältige künftige Entfaltungsmöglichkeiten zu haben, die eben auch, und in diesen Fällen in hohem Maße, von Gesundheit und “Abilities” abhängen. Der Punkt der  capability approaches” z.B. von Sen und Nussbaum liegt nun gerade darin, dass gesellschaftliche Teilnahme und pers. Entfaltung  von Fähigkeiten abhängen, deren Mindestmaß zu ermöglichen die Gerechtigkeit gebiete.

Das grundrechtlich geschützte Interesse des Kranken oder Behinderten, welches Bedenken gegen genetic engineering zumeist „trumpfen“ dürfte, ist zumindest das Recht auf Gesundheit. Wenn die Gesellschaft Betroffenen Therapien vorenthält, weil sie es für wünschenswert hält, dass es auch Kranke und Behinderte gibt, dann stellt sie diffuse gesellschafts-ästhetische?! Wünsche über das zu Wohl Betroffener – diese müssen dann leiden, weil andere es so wünschen. Utilitaristischer Zynismus; unterlassene Hilfeleistung;  vlt. gar seinerseits menschenwürdewidrig. Der Staat darf niemandem geeignete Therapieverfahren vorenthalten, weil sie Therapien sind. Entscheidend kann nur das Wohl des Betroffenen sein. Es wäre äußerst merkwürdig, wenn nach geburtlich alles daran gesetzt werden muss, Eigenschaften zu verhindern, vorher aber jegliche Versuche strafbewehrt verboten wären.

Aber was ist nun, wenn die Therapie auch die “germline” verändert (derzeit ja verboten)? Man möchte fast sagen: umso besser. Denn die gleiche Abwägung wird nicht anders, nur weil sie sich bei einer späteren Person nochmal stellt.

Zumindest für die Indikationen, bei denen eine PID + Verwerfung zulässig ist (die ja erst noch anhand konkreter Fälle gebildet werden), muss eigentlich das Verbot des genetic engineering fallen (wie immer, von Nebenwirkungen und anderen Risiken abgesehen). Aus Sicht des Embryonenschutzes ist es allemal besser, ein Individuum zu heilen als es zu verwerfen. Darüberhinaus verbliebe als Argument allein noch derSchutz der „menschlichen Natur“ als solcher (oder das “Gattunsverständnis”). Aber das gründet auf einem sehr statischen Naturverständnis, anyway, ein eigener Beitrag.

Und was ist mit der Kritik von Habermas – muss sich die genetically modified person nicht als „geschaffen“ empfinden? Psychologisch ist das denkbar. Aber, fühlt sich eine erwachsene, in ihrer Kindheit aufwendig therapierte Person als geschaffen? Kann ich mir kaum vorstellen. In diesem Sinne sind wir eben alle von unseren Eltern u.a. Bedingungen geschaffen. Und – neben den weiteren Dimensionen des Habermaschen Argumentes, die ich hier beiseitelasse: Das Argument der „Geschaffenheit“ beruht doch stark darauf, dass eine bewusste Entscheidung für oder gegen eine Eigenschaft seitens höherer Mächte (aber nicht der Natur) getroffen wurde. Sollten therapeutische Interventionen dereinst zur Verfügung stehen, wäre auch das Unterlassen des Eingriffs eine Entscheidung. Wenn chance to choice wird, gibt es quasi keine nicht-Entscheidung mehr. Auch das Wegsehen und Nicht-Wissen-Wollen wäre eine. Man mag die Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Unterlassen stark machen und behaupten, dass das Nichthandeln weniger einschneidend sei. Vielleicht ist das so. Aber so ganz schlagend auch nicht. Muss sich nicht auch derjenige, dessen Eltern keine therapeutischen Maßnahmen ergriffen haben, als Produkt elterlicher Entscheidung begreifen? Kann er nicht, ganz ähnlich wie eine „veränderte“ Person, Rechtfertigung verlangen – statt: „Warum habt ihr das getan?“ eben „Warum habt ihr nichts getan?“ Und ist die Antwort, das Unterlassen hätte einen prinzipiellen Vorrang,  dann irgendwie überzeugend?

Über Eingriffe jenseits therapeutischer Ziele lässt sich vortrefflich streiten. Bezüglich der PID Indikationen ist das Verbot von Keimbahnveränderung fast unlogisch. Und bei anderen (schweren) Krankheiten scheint es angesichts eines (starken) Grundrechts auf Gesundheit auch nur schwer zu legitimieren.

Wie leicht man bei diesen Fragen Grenzen überschreitet, zeigte sich gestern beim Vortrag eines Japaners, dessen Namen ich mal auch nicht nenne, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass er das nicht so gemeint haben kann, wie er es gesagt hat. Hoffe ich jedenfalls. Im Erdgeschoss des ehemaligen IG Farben Hauses argumentierte er für ein Menschenrecht auf ein „decent genetic minimum“. Wer seinem Nachwuchs dieses nicht garantieren könne, der dürfte eben keine Kinder bekommen. Dann müsse der Staat dann die Freiheiten der Eltern beschneiden. Fällt das “liberal” vor der Eugenik weg, ist man genau da, wo man an diesem Ort vor 70 Jahren gedanklich schon mal war.

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